
Der rote Faden zu meiner Geschichte |
27.06.2022 |
Über kreatives Schreiben und das Gestalten eigener Bücher
Der Verein Buchkinder Leipzig e.V. begleitet Kinder und Jugendliche auf dem Weg zum eigenen Buch oder bei der Präsentation von Geschichten. Seit 2001 werden Kinder und Jugendliche zwischen 18 Monaten und 17 Jahren, die Lust am Schreiben, Drucken und Illustrieren haben, willkommen geheißen. Die Werke werden im BuchkinderVerlag herausgegeben und im Buchkinderladen verkauft.
Kreatives Schreiben als Basis
„Kinder zwischen 5 und 10 Jahren kommen besonders gerne in die Buchwerkstatt“, erzählt Susanne Tenzler-Heuser, Pressesprecherin der Buchkinder Leipzig e.V. „Der Bedarf an freien, kreativen Ausdrucksmöglichkeiten ist bei den Schreibanfänger*innen besonders hoch. Ähnliches gilt für die Schriftkundigen zwischen 11 und 17 Jahren, sie arbeiten gerne in verschiedenen Arbeitsgruppen an Gemeinschaftsprojekten.“ Um ein Für- und Miteinander, die Sensibilität, die Achtung und die Solidarität unter den Kursteilnehmer*innen zu fördern, sind die Kursgruppen der Buchkinder stets altersgemischt und die geografische sowie soziale Herkunft der Kinder und Jugendlichen ist als ein Abbild der Heterogenität der Stadt Leipzig zu sehen.
Die Perspektive der Kinder und die Unterstützung der Erwachsenen
Die Aufmerksamkeit des Vereins liegt allein auf den Wünschen, Ideen und Prozessen der Kinder und Jugendlichen, während Erwachsene sich im Hintergrund halten und lediglich unterstützende Aufgaben übernehmen. Die Haltung der erwachsenen Begleiter*innen beruht auf dem Verständnis der Kinder als ernstzunehmende, selbstständig denkende und handelnde junge Menschen, denen zugehört wird und die auf ihrem eigenen Weg begleitet werden. „Das, was aus den Kindern kommt, wird bleiben“, ist sich Tenzler-Heuser sicher. „Die Pädagog*innen und Begleiter*innen der Buchkinder fungieren als Raumgeber*innen und schaffen das notwendige Grundvertrauen, um die eigenen Erfahrungsmöglichkeiten, Ideen und Vorstellungen im Dialog mit den Kindern hervorzubringen. Wir kommentieren weder die Arbeiten der Kinder, noch korrigieren wir etwaige Fehler. Unsere Aufgabe liegt allein im Zuhören und Dasein. Diese Wertschätzung tut den Kindern gut und ist der Schlüssel unserer gesamten Buchkinderarbeit.“
Bücher für Kindern mit Fluchterfahrungen
Seit 2016 kooperiert der Verein mit verschiedenen Gemeinschaftsunterkünften der Stadt Leipzig und seit diesem Jahr werden im Buchkindergarten zwei Eltern-Kind-Kurse für ukrainische Geflüchtete angeboten. Um ein Vertrauensverhältnis zwischen den Werkpädagog*innen und den Kindern mit Fluchthintergrund herzustellen, begann die Arbeit des Vereins zuerst vor Ort in einer Unterkunft für Geflüchtete. Mittlerweile arbeiten diese Kinder aber gemeinsam mit anderen Kindern in den Werkstätten der Buchkinder. Für die Arbeit mit Kindern mit Fluchterfahrung gibt es, laut Susanne Tenzler-Heuser, insbesondere zwei Ziele: „Wir setzen uns verstärkt für die Entwicklung einer interkulturellen Sensibilität ein. In Bezug auf die bestehenden sprachlichen und kulturellen Barrieren sehen wir genau darin eine besondere Bedeutung, da unsere Arbeit es ermöglicht, erlebte Wirklichkeit über Text und Bild zum Ausdruck zu bringen und Vielfalt als Selbstverständlichkeit erlebbar zu machen. Die persönlichkeitsstärkende Kraft der Kursarbeit wird in diesen Zeiten für uns deutlich sichtbar. Unsere Arbeit verankert Strukturen in den Kindern, die ihnen helfen, den Halt nicht zu verlieren. Im Erleben des eigenen Ausdrucks und damit der Anbindung an die eigenen Kräfte erfahren die Kinder die Hinwendung auf die eigenen inneren Bilder im Rahmen der Kursarbeit als eine Insel. Es wird ihnen ermöglicht, sich zeitweise von den hohen (erdrückenden) Anforderungen von Außen zurückzuziehen, den Blick auf die eigenen inneren Bilder und Gefühle zu richten und daraus Kraft zu schöpfen. Das Gemeinschaftswerk einiger Kinder aus einer Gemeinschaftsunterkunft mit dem Titel „Fon uns alen“, verdeutlicht z.B. diese Kraft.“
Kompetenzen, Lernprozesse und Kommunikation ohne Basissprache
„Unsere kreativen Methoden scheinen immer dann besonders fruchtbar zu sein, wenn Kinder und Jugendliche eine gemeinsame Kommunikationsebene finden, die über die formale Sprache hinausgeht“, berichtet Susanne Tenzler-Heuser.
„Ein altes französisches Sprichwort sagt: Zeichnen ist Sprache für die Augen, Sprache ist Malerei für das Ohr. Das könnte eine Antwort sein, weshalb unsere Arbeit gut funktioniert, denn Bild und Schrift bilden bei der Buchkinderarbeit eine wichtige Einheit und werden beide als Form des Ausdrucks verstanden. Auch die nonverbale Sprache darf man nicht vergessen. Über all dem steht die Erkenntnis, dass Herkunft, Vergangenes oder Fehlendes nicht wichtig sind. Der Verein thematisiert solche Aspekte nicht, sondern lässt die Kinder mit dem kommen, was sie mitbringen.“
Buchkinder wachsen mit ihren Büchern. Sie entwickeln neben Kreativität und kommunikativen Fähigkeiten auch soziale Kompetenz und ein Gespür für Literatur. Auf dem Weg von der ersten Idee bis zur abschließenden Präsentation der Werke üben sich die jungen Menschen im freien und selbstständigen Arbeiten, übernehmen Verantwortung für ihr Werk und lernen gemeinsam mit anderen Kindern die einzelnen Schritte des Büchermachens hautnah kennen: Von der ersten Idee, dem ersten Linolschnitt, der Illustration, dem Setzen und Drucken der Geschichten bis hin zur Präsentation ihres eigenen Buches, welches in kleinen Auflagen in der vereinseigenen Buchmanufaktur hergestellt und im Buchkinderladen zum Verkauf angeboten wird.
„Die Buchkinder Leipzig e.V. wirken immer und überall und vor allem unabhängig von Hautfarbe, Sprache und Herkunft der Kinder und Jugendlichen“, resümiert Susanne Tenzler-Heuser. Das zeigte sich beispielsweise jenseits von Leipzig in Südafrika, als der Verein im Jahr 2009 vom Goetheinstitut Johannesburg zur Fußball-WM eingeladen wurde und mit Kindern aus dem Township Bücher zum Thema „Soccer“ kreierte. „Das Besondere war, dass nicht alle Kinder und Kursleiter*innen eine gemeinsame Sprache, nämlich Englisch, sprachen. Trotzdem sind spannende, lustige und traurige Geschichten und Bilder entstanden, es wurde miteinander geweint und gelacht und tiefe Freundschaften haben ihren Anfang genommen“, erinnert sich Tenzler-Heuser.
Multiplikator*innen-Seminare der Buchkinder Leipzig e.V.
Um die Idee der Buchkinder zu verbreiten, bietet der Verein seit 2005 Multiplikator*innen-Seminare für Erwachsene an. Teilnehmenden wird auf diese Weise ein Einblick in die Idee der Buchkinderarbeit und den Entstehungsprozess der Buchkinder-Geschichten ermöglicht und die prozess- und erfahrungsorientierte Arbeitsweise der Werkstatt nähergebracht. Da die Leipziger Buchmesse auch in diesem Jahr ausfiel, hat der Verein ein eigenes Buchkindermesseprogramm für Groß und Klein entwickelt, welches an verschiedenen Orten im Stadtraum Leipzig stattfand.
Wie großartig sich die Arbeit des Vereins auf das Selbstbewusstsein der Kinder auswirkt, zeigt sich für Susanne Tezler-Heuser an einer Anekdote der Teilnehmerin Franka: Franka, die ihrem eigenen Buch den Titel „Das ist vielleicht das beste Buch was je gemacht wurde“ gab, resümierte ihre Arbeit nach der Bücherübergabe und dem ersten Durchblättern des eigenen Werks stolz mit den Worten: „Das ist wirklich das beste Buch, was je gemacht wurde.“
Autorin: Marah Frech
Über das Projekt
Die Buchkinderkurse- und Seminare finden seit 2001 unter Woche in der zentralen Schreib- und Druckwerkstatt in der Alten Post Lindenau im Leipziger Westen sowie in der Schulze-Delitzsch-Straße im Leipziger Osten statt. Letztere wird vor allem von Kindern aus dem Kiez genutzt, die durch die zentrale Lage der Werkstatt, gegenüber von Schule und Hort, selbstständig auf das Angebot aufmerksam werden. Auch Kooperationsveranstaltungen mit festen Bildungsinstitutionen wie Schule, Hort und Kindertagesstätte nutzen die Räumlichkeiten des Vereins. An den Verein schließt sich der eigene Buchkinderverlag sowie ein BuchKindergarten an. Der Buchkinderverlag wurde 2021 mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet.
Redaktionskontakt: anda@dipf.de