Meldung

Ein neuer Blick auf Bibliotheken

02.06.2009

Ohne leistungsfähige Bibliothek keine Forschung und kein Studium


Logo des Bibliothekartages 2009
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Der Berufsverband Information Bibliothek e.V. (BIB) und der Verein Deutscher Bibliothekare e.V. (VDB) veranstalten in Kooperation mit dem Deutschen Bibliotheksverband e.V. (dbv) vom 02. bis 05. Juni 2009 in Erfurt den 98. Deutschen Bibliothekartag. Mit 300 Vorträgen und 78 Workshops ist dies die größte zentrale Fortbildungsveranstaltung und wissenschaftliche Tagung für das deutsche Bibliothekswesen.

Neueste fachwissenschaftliche Literatur erfordert mehr Investitionen
Als das Kölner Stadtarchiv im März einstürzte, standen Politik und Öffentlichkeit in Deutschland Kopf. Das „Gedächtnis der Stadt“ zerstört, 1.000 Jahre dokumentierte Geschichte vernichtet – ein unschätzbarer Verlust für Forschung und Kultur. „Wenn ein Archiv einstürzt oder eine Forschungsbibliothek brennt, ist es eigentlich zu spät“, kritisiert Dr. Ulrich Hohoff, Vorsitzender des Verbands Deutscher Bibliothekare (VDB) und Chef der Universitätsbibliothek Augsburg. Die Bibliothekarinnen und Bibliothekare an wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland fordern ein gemeinsames Vorgehen mit Wissenschaftlern und Politikern, um wissenschaftliche Fachliteratur auf aktuellem Stand bereitzustellen und um überliefertes Kulturgut in den Einrichtungen zu erhalten. Es geht um Prioritäten und um finanzielle Mittel.

Beim 98. Deutschen Bibliothekartag 2009 vom 02. bis 05. Juni in Erfurt treffen sich rund 3.000 Experten aus öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken, um ihre Aufgaben in der Informationsgesellschaft zu diskutieren. Auch die Herausforderungen der Digitalisierung und der elektronischen Medien stehen im Mittelpunkt des Branchenkongresses unter dem Motto „Ein neuer Blick auf Bibliotheken“.

Die Arbeit der Bibliothekarinnen und Bibliothekare ermöglicht auch das Studium für rund 2 Millionen junge Menschen und die wissenschaftliche Forschung an rund 300 Universitäten und Hochschulen in Deutschland. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sind ebenfalls auf aktuelle Quellen in Form von Büchern, Zeitschriften, Datenbanken und Forschungsdaten angewiesen.
Über die aktuellen Probleme müsse deshalb auch die Politik informiert sein, sagt der VDB-Vorsitzende: „Unser Aufwand, um den internationalen Stand der Forschung zugänglich zu machen, nimmt zu. Die Spezialisierung in den Wissenschaften hält an, und die Preise für Zeitschriften und Datenbanken erreichen manchmal astronomische Höhen.“ Eine Universität müsse Tausende an Abonnements und Lizenzen halten. Es sei sehr schwierig, bei Fragen der Publikation und der Preisgestaltung die Interessen der Bibliotheken und Hochschulen, der wissenschaftlichen Autoren und der Verlage auszutarieren. Wenn Deutschland weiterhin an der Spitze der Wissenschaft mithalten wolle, seien jedenfalls höhere Investitionen in den Kauf und in Lizenzen von wissenschaftlicher Fachliteratur unumgänglich.

Digitaler Zugang und die Erhaltung wertvoller Bestände
Wissenschaftliche Bibliotheken sind auch Lernzentren der Wissenschaft. Die Lesesäle an den Hochschulen sind überfüllt, die Ausleihzahlen steigen. Auch hier stellen sich neue Aufgaben: Studierende wollen beispielweise von ihrer Lernumgebung am Laptop direkt auf wissenschaftliche Veröffentlichungen zugreifen. Bibliothekare müssen praktische Fragen lösen: Wie machen wir Studierende fit für den Umgang mit Fachinformationen? Wie schaffen wir Platz für das Lernen in Kleingruppen? Und was für Bibliotheksbauten braucht die Generation Internet?
„Bibliothekare arbeiten auch an komfortablen digitalen Arbeitsumgebungen für das wissenschaftliche Arbeiten mit“, sagt der VDB. „Gescannte Textseiten sind dafür hilfreich, aber nicht ausreichend. Wissenschaftler wollen beispielsweise stabile Seiten zitieren, Bemerkungen notieren, Zitate herausnehmen – und sie wollen Texte und Daten vergleichen und analysieren.“ Nach wie vor erwartet die Gesellschaft, dass Bibliothekare und Archivare Wissen dauerhaft bereitstellen. Im digitalen Umfeld bestehen hierfür noch technische und organisatorische Hürden.
Wie bisher organisieren Bibliothekare den wachsenden Bestand an gedruckten Büchern und Zeitschriften. Zahlreiche Wissenschaftsfächer (zum Beispiel Geschichte, Literaturwissenschaft und Rechtswissenschaft) arbeiten mehrheitlich noch mit gedrucktem Material. Aber die ‚Gutenbergkultur’ wird langsam digital verfügbar.
Schließlich bewahren wissenschaftliche Bibliothekare seit Jahrhunderten Millionen Seiten an kostbarem Kulturgut und spezielle historische Sondersammlungen auf. Einige Bibliotheken sind geradezu Schatzhäuser des überlieferten Wissens. Der Erhalt gefährdeter Drucke, Handschriften und anderer historischer Quellen ist heute durch die Trägereinrichtung allein nicht mehr finanzierbar. Bibliothekare haben hierzu zwei Anliegen: Investitionen in die Digitalisierung der Bestände und in den Erhalt und die Pflege historischer Originale.

Impulse für Kultur, Kommunikation und Integration
Im Themenkreis 06 "Bibliotheken in Kommunen – Impulse für Kultur, Kommunikation, Integration" werden verschiedene Initiativen zur Leseförderung für Kinder und Jugendliche vorgestellt, die von und in Bibliotheken, aber auch in Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Institutionen entwickelt wurden.

Über Praxisbeispiele für innovative Projekte zur Leseförderung berichtet Marina Glöckner von der Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt. Mit einem generationenübergreifenden Veranstaltungskonzept hat sich die Zweig- und Schulbibliothek in den letzten Jahren zu einer Familienbibliothek entwickelt. Der Vortrag bringt lebendige Beispiele aus dem Alltag dieser besonderen Bibliothek.

Lena Grether und Gesine Ledlein von der Stadtbibliothek Hannover stellen ein Projekt vor, in dessen Rahmen eine neue Form der Zusammenarbeit mit Jugendlichen, die in Bibliotheken oft als Problemzielgruppe wahrgenommen werden, ausprobiert wird. Beim Lesementoring übernehmen Jugendliche Verantwortung für Grundschulkinder. Sie fungieren als Mentoren und haben dabei die Möglichkeit, ihre persönlichen Stärken zu entdecken und weiterzuentwickeln. Je zwei junge Mentoren treffen sich einmal in der Woche für eineinhalb Stunden mit sechs Grundschulkindern und bereiten für diese Treffen ein abwechslungsreiches Programm vor. Für ihr Engagement erhalten die Jugendlichen den Kompetenznachweis Kultur, ein Zertifikat der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, das von den Fachkräften nach mehrmaliger Beobachtung der Lesementoringtreffen und Gesprächen mit den Jugendlichen ausgestellt wird. Das Zertifikat beinhaltet Aussagen zur persönlichen Entwicklung und den besonderen Stärken der Jugendlichen.

Wie in Niedersachsen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Leseförderung ausgebildet werden berichtet Anke Märk-Bürmann von der Akademie für Leseförderung der Stiftung Lesen an der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Hannover. Die Akademie hat in Zusammenarbeit mit der Agentur für Erwachsenen- und Weiterbildung in Hannover im Sommer 2008 das erste Mal insgesamt 20 Teilnehmer/innen zu Multiplikatoren/innen in der Leseförderung ausgebildet. Aufgrund der vielen Anfragen für die Ausbildung von Vorlesepaten und Leselernhelfern ist in der Akademie die Idee entwickelt worden, diese Aufgabe auf eine breitere Basis zu stellen und Personen zu qualifizieren, die Ehrenamtliche schulen können. Die bei der Durchführung dieses Kursangebots gesammelten Erfahrungen und die ersten Berichte über den praktischen Einsatz sowie die weitere Begleitung der ausgebildeten Teilnehmer/innen werden in dem Vortrag zur Sprache kommen. Darüber hinaus wird die Frage aufgeworfen, inwiefern das Angebot einer solchen Schulung für Bibliotheken oder bibliothekarische Fortbildungseinrichtungen eine Perspektive sein kann, sich als kompetente Partner in der Leseförderung bzw. als Impulsgeber für lebenslanges Lernen in der Kommune oder im Land zu profilieren.

"Spielend (mit) Sprache lernen" ist das Thema des Vortrages von Ute Hachmann von der Stadtbibliothek Brilon. Seit 2007 führt das Land Nordrhein-Westfalen zentrale Sprachtests bei vierjährigen Kindern im Kindergarten durch. Alle Kinder, die diese Tests nicht bestehen, erhalten vom Land finanziert, eine 1,5 Jahre dauernde Sprachförderung im Kindergarten. Die Stadtbibliothek Brilon hat für diese Sprachfördergruppen neue Angebote entwickelt. Dabei handelt es sich unter anderem um ein vierstufiges Besuchsprogramm in der Bibliothek (mit Elterneinbindung) und um die Zusammenstellung und Ausleihe von Erzählkoffern.

Kontakt:
Michael Reisser
Berufsverband Information Bibliothek e.V. (BIB)
Gartenstraße 18, D-72764 Reutlingen
Tel.: (071 21) 34 91-13
E-Mail: reisser@bib-info.de


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