Bericht

Die Nachtfee und das Sterneneinhorn

23.03.2009

Geschichten und Gedichte von der „Schreibspielwiese“


In der AG „Schreibspielwiese“
In der AG „Schreibspielwiese“
An der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gibt es seit dem Schuljahr 2003/04 eine Arbeitsgemeinschaft schreibender Kinder - die „Schreibspielwiese“. Etwa 25 Kinder der Klassen zwei bis sechs treffen sich regelmäßig in der Lernwerkstatt des Hans-Ahrbeck-Hauses in den Franckeschen Stiftungen, um unter fachkundiger Anleitung den spielerischen Umgang mit der Schrift zu erproben. Bilder, Geschichtenanfänge oder Sprachspiele dienen als Schreibimpulse und regen die Fantasie der Kinder an. Es entstehen Geschichten, Gedichte, Erlebnisberichte, Rätsel und Verse, die in der Gruppe vorgestellt und häufig auch illustriert werden. Die folgenden Kindertexte entstanden zwischen 2003 und 2008.

Die kleine Nachtfee
Es war einmal ein dunkler Wald. Dort, wo er am dunkelsten war stand ein Haus. Jeden Abend öffnete sich die Tür und die Nachtfee verteilte die Nacht über das Land. Dann ritt sie auf Sternentänzer, dem Sterneneinhorn, aus. Das macht sie heute noch.

Isabelle, 8 Jahre

Ich bin wie ich bin
Ich bin der Wind, der die Zweige bewegt.
Ich bin der Titel eines Buches.
Ich bin der Regen, der die Pflanzen sprießen lässt.
Ich bin ein Pferd, das läuft ohne nachzudenken.
Ich bin die Sonne, die zuerst den Tag ankündigt.
Ich bin der Mond, der abends am Himmel steht.
Ich bin ein Jungtier, das verletzlich ist.
Ich bin ein Fuchs, der nachdenkt bevor er geht.
Ich bin ein Bücherwurm, der die Bücher durchkreuzt.
Ich bin der Morgentau, der auf der Wiese liegt.
Ich bin das Wasser, das getrunken wird.
Ich bin dein Freund, wenn du mich gut behandelst.
Ich bin ich, und nur ich ändre was daran.

Alexandra S., 10 Jahre

Mein Tag
Ich bin ein kleiner Grashalm auf einer großen Wiese. Jeden Tag strahlt die Sonne über mir und mein Tag beginnt. Es summen Bienen um mich rum, es laufen Ameisen hin und her. Käfer knabbern an mir herum.
Bricht mich jemand ab, bin ich kein kleiner Grashalm mehr auf einer großen Wiese.

Sophia, 9 Jahre

Es war einmal ein Gefrierschrank.
Aus dem sah der Orangeneis-König heraus.
Da sah er eine Taschenuhr auf dem Küchentisch liegen.
Wie spät ist es, dachte der König.
Ah, 17.30 Uhr und er verschwand wieder im Gefrierschrank.

Joel, 8 Jahre

Das weißblau springende Huhn
Das weißblau springende Huhn,
das springt, das springt,
so hoch, so hoch.
Da sieht man es, da sieht man es,
gar nicht!

Sophia, 9 Jahre

Vögel fliegen ohne Ventil,
aber kommen doch ans Ziel.

Emily

Gelb
Leuchtend gelbe Zitronenfalter flattern übers Feld,
ob es dem Papagei auf dem Baum da gefällt?
Er jongliert mit Zitronen,
bis er’s kapiert,
ob er für den Löwenzahnwettstreit trainiert?
Die Enten üben ein quakiges Lied,
das ockergelbe Kamel schaut zu, wie’s geschieht.

Hanna, 9 Jahre

Warum gibt es am Himmel Wolken?
Eines Tages dachte sich der Himmel: fast keiner schaut mehr zu mir hinauf, es ist so langweilig einfach nur blau zu sein. Also fragt er des Nachts den Mond: „Ich möchte auch am Tag einen Schmuck tragen, hast du eine Idee?“
„Mhh“, dachte der Mond, „Ja, auf der Erde ist gerade blau mit weißen Flocken in.“
„Ja“, sagte der Himmel, „Ich nehme Schneeflocken und mache daraus große Bälle mit denen schmücke ich mich.“ Und schon am nächsten Tag hatte er die Wolken erfunden und sich damit geschmückt und die Menschen fanden es super.

Hanna, 10 Jahre

Die Geschichte vom Schulengel
Der Schulengel heißt Naninana. Naninana hilft wenn man Hilfe braucht in Mathe, Deutsch und anderen Dingen Hilfe braucht. Der hilft auch wenn man ihn ruft! Vielleicht hilft er auch wenn dir jemand weh tut. Aber wenn du ihn nicht rufst, dann wird es nichts.

Sophie, 7 Jahre

Spielend schreiben lernen?
Wie lernt man eigentlich schreiben? Was gibt den Ausschlag? Das richtige didaktische Alphabetisierungskonzept, der Rechtschreibunterricht oder die Lesefähigkeit? Bedarf es mühseliger Übungen oder der freien und selbstbestimmten Erprobung der Schrift, um sie beherrschen zu lernen? Oder macht nicht doch im Wesentlichen die Veranlagung den kompetenten Schreiber aus? Die Frage ist viel zu weit gefasst, als dass sie mit wenigen Worten zu beantworten wäre. Aber vermutlich nehmen alle hier angesprochenen Momente des Schriftspracherwerbs Einfluss auf die Entwicklung von Schreibkompetenz.
Schreiben wie Lesen lernen Kinder, indem sie sich mit Geschriebenem produktiv auseinandersetzen, die Schrift erleben, erproben, gebrauchen, formen und variieren. Übung ist dabei ebenso notwenig wie der freie Umgang mit der Schrift und die Begegnung mit guter Literatur. Dass diese unterschiedlichen Erfahrungsbereiche aber nicht getrennt sein sollten – sozusagen in notwendige Bereiche und solche, die Spaß machen – haben Deutschdidaktiker(innen) in den letzten Jahrzehnten immer wieder betont. Die konkrete Umsetzung dieses Anspruchs, und damit zusammenhängende Möglichkeiten für die Verbesserung des Deutschunterrichts an Schulen werden am Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg erforscht.

Anregung zum spielerischen Umgang mit der Schrift
Seit dem Schuljahr 2003/04 gibt es an der MLU eine Arbeitsgemeinschaft schreibender Kinder, die „Schreibspielwiese“. In der Lernwerkstatt des Hans-Ahrbeck-Hauses in den Franckeschen Stiftungen treffen sich alle 14 Tage etwa 25 Kinder der Klassen 2 bis 6, um gemeinsam oder allein Texte zu schreiben. Die Bandbreite der Ergebnisse ist groß: Es entstehen Geschichten, Gedichte, Erlebnisberichte, Rätsel, Verse und vieles andere mehr. Den Leitern der AG – Alexandra Ritter und Dr. Michael Ritter (Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik) und Mareike Schulz, eine Köthener Grundschullehrerin – geht es dabei, unterstützt von Studierenden des Lehramtes an Grund- und Förderschulen, um die Anregung zum spielerischen Umgang mit der Schrift. Das Angebot von Schreibimpulsen soll die Fantasie der Kinder in Gang setzen und ein Weiterdenken der Vorgaben anregen. Als Schreibimpulse können Bilder, Geschichtenanfänge, Sprachspiele oder andere Materialien dienen. Die fertigen Texte werden den anderen Kindern vorgestellt und darüber hinaus häufig noch illustriert und in persönliche Geschichtenbücher der Kinder übertragen. In der Schuldruckerei können auch Texte mit beweglichen Bleilettern gesetzt und vervielfältigt werden.
Schließlich finden regelmäßig Begegnungen mit Autorinnen und Autoren statt. Das ist immer wieder ein besonderes Erlebnis, wenn die „Professionellen“ den jungen Nacheiferern einmal über die Schulter schauen und Tipps geben, die denen für ihr eigenes Schreiben wichtig sind. So sollen die Kinder das Schreiben nicht nur als Kulturtechnik entdecken, sondern ein Gefühl entwickeln können für den Kosmos, den die Schriftkultur darstellt.

Erforschung kindlicher Schreibprozesse
Eingebunden ist die Arbeit in Forschungsprozesse des Arbeitsbereichs Deutsch am Institut für Schulpädagogik und Grundschuldidaktik. Dort gibt es unter der Leitung von Prof. Dr. Eva Maria Kohl das weltweit einzige „Archiv für Kindertexte“. Darin wurden bislang rund 80 000 von Kindern geschriebene Texte gesammelt und archiviert. Sie stehen einer interdisziplinären Erforschung kindlicher Schreibprozesse zur Verfügung.

Autor:
Dr. Michael Ritter
Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg
E-Mail: michael.ritter@paedagogik.uni-halle.de


Redaktionskontakt: schuster@dipf.de