
Kommunikative Standards fehlen |
30.11.2006 |
Forschungsprojekt „Lesen, Reden, Schreiben“ an der Universität des Saarlandes
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Wie heißt es richtig? Quelle: Photocase |
Klagen über mangelnde Ausbildungsreife
Die Klagen aus der Wirtschaft häufen sich. Immer mehr Hauptschülerinnen und -schüler geraten in Misskredit. Fehlerhafte Bewerbungen und das Fehlen kommunikativer Standards sowie E-Mails ohne Anrede und abschließender Grußformel belegen mangelnde Grundkenntnisse im Fach Deutsch und zeugen von unzureichender Ausbildungsreife. Durchhaltevermögen, Höflichkeit und Respekt fehlen oft. Insgesamt gelten heute etwa 25 Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs als nicht ausbildungsfähig, sie haben in den PISA-Tests im Lesen nur die niedrigste der fünf Kompetenzstufen erreicht. Viele waren noch schlechter. Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund sind besonders betroffen. Die meisten von ihnen werden vom Bildungssystem in ihren Begabungen unzureichend gefördert, sie besuchen die Haupt- oder Sonderschule und jeder Fünfte verlässt die Schule sogar ohne Abschluss. Dies führt nicht selten dazu, dass Industrieunternehmen immer weniger Hauptschülerinnen und Hauptschüler ausbilden.
Forschungsprojekt „Lesen, Reden, Schreiben“
Der Bedarf an Maßnahmen, die grundlegende Fähigkeiten und Fertigkeiten im gesamten Bereich der sprachlichen Kommunikation schulen, wird immer größer. Spezielle Trainings in diesen Bereichen sind die Ausnahme und wurden bislang kaum systematisch untersucht. Insbesondere über die Wirksamkeit von Trainingsmaßnahmen bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund ist wenig bekannt. Um diese Lücke zu füllen, wurde das Forschungsprojekt „Lesen, Reden, Schreiben“ von Wissenschaftlern der Universität des Saarlandes aus der Taufe gehoben. Sie wollen durch ein „speziell auf die Schülerinnen und Schüler zugeschnittenes Training die Möglichkeit eröffnen, ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten in den Schlüsselkompetenzen Lesen, Reden, Schreiben, Hören sowie Mediennutzung zu optimieren“. Zielgruppe sind in erster Linie Hauptschüler der Abschlussklasse, genauer Schülerinnen und Schüler im Hauptschulzweig der saarländischen erweiterten Realschulen, denn im Saarland gibt es keine Hauptschulen mehr. Das Training wird zunächst an 100 Schülerinnen und Schülern durchgeführt.
Das Projekt verfolgt eine integrative Zielsetzung: Unter der Sicherstellung, dass die Belange der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ausreichend berücksichtigt werden, sollen alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam unterrichtet werden. Grundlegende Sprachkenntnisse werden allerdings vorausgesetzt. Das Projekt wird seit April 2005 vom Microsoft Bildungsnetzwerk Deutschland und seit März 2006 vom Verband der Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes e.V. gefördert. Im Projektteam sind zwei Germanisten vertreten, Prof. Dr. Lutz Götze und Dr. Thomas Grimm, der Sprechwissenschaftler und Sprecherzieher Prof. Dr. Norbert Gutenberg, der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Robin Stark sowie die Diplom-Psychologin Babette Koch.
Die Laufzeit des Projekts beträgt vier Jahre: Die ersten drei Jahre sind der Entwicklung der Tests und des Trainings sowie dessen Durchführung vorbehalten. Im vierten Jahr werden die Daten ausgewertet, d.h. das Projekt wird insgesamt evaluiert. Das saarländische Kultusministerium unterstützt den Vorgang logistisch und organisatorisch und will nach der Evaluierung die Erkenntnisse darüber, wie der Unterricht effektiver und praxisnäher gestaltet werden kann, in die Lehrerausbildung integrieren.
Ausbildungsfähigkeit erhöhen
Wenn Ausbildungsfähigkeit erhöht werden soll, muss zunächst definiert werden, was Ausbildungsfähigkeit ist. Dazu wurde der praxisnahe Weg der „Delphi-Studie“ gewählt. Die Wissenschaftler befragten Experten, die mit (zukünftigen) Berufsschülern arbeiten: Berufsberater der Agentur für Arbeit in Saarbrücken, Ausbilder von Unternehmen, Lehrkräfte von Berufsschulen und Bildungsfachleute der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes. Das Bild ergab, dass „solide Basiskenntnisse in Bezug auf verschiedene mündliche und schriftliche Textsorten notwendige Bedingungen der Ausbildungsreife sind“, fasst Germanist Thomas Grimm zusammen. Dazu gehören unter anderem die Beherrschung der Textarten „Bewerbungsschreiben“ und „Lebenslauf“, das Führen eines Berichtsheftes, die Kommunikation über E-Mail und Intranet und die Dokumentation laufender Arbeitsprozesse. Verlangt werden außerdem ausreichende Kompetenzen im Umgang mit dem Computer.
Vorgehensweise des Projektes
Um die Hauptschülerinnen und -schüler in diesen Bereichen fit zu machen, wird das Forschungsprojekt in drei Inhalte geteilt. Im ersten Schritt erfolgt die Testung. Für jede einzelne Fertigkeit werden Tests entwickelt, damit der Leistungsstand der Schülerinnen und Schüler ermittelt werden kann. Alle bekommen die gleichen Testaufgaben. Die Testaufgaben in den Bereichen Schreiben und Lesen wurden bereits entwickelt. Die Testverfahren für die Bereiche Sprechen und Hören werden zurzeit konzipiert und im Laufe des Schuljahres abgeschlossen, so dass voraussichtlich zu Beginn des Schuljahres 2007/2008 alle Fertigkeiten überprüft werden können. Vorgesehen ist, dass der Eingangstest an einem einzigen Schultag absolviert wird. Für jede Fertigkeit wird eine Testzeit von einer halben Stunde vorgesehen.
Mit Hilfe eines Pilottests an 20 Hauptschülerinnen und -schülern, davon werden 20 Prozent einen Migrationshintergrund haben, wird das Testverfahren zuvor auf seine Verwendbarkeit überprüft. Die Tests dürfen nicht zu leicht und nicht zu schwierig sein und keine missverständlichen Stellen enthalten.
Nach Auswertung der Eingangstests wird in den Schulen im gleichen Schuljahr ein auf die jeweiligen Defizite abgestimmtes Training durchgeführt. „Um die Effizienz der Schulung festzustellen, werden die Schüler danach abermals getestet. Außerdem wird die Gruppe der geförderten Schüler mit einer nicht trainierten Kontrollgruppe verglichen“, kommentiert die Gruppe ihr Verfahren. Das Training ist erst dann erfolgreich, wenn die Schülerinnen und Schüler, die ein solches Training absolvieren, auch wirklich weniger Fehler machen als andere. Und um festzustellen, bei welcher sprachlichen Fertigkeit es die meisten Verbesserungen gibt, werden alle Fehler genau erfasst und kategorisiert. Dies verhilft auch dazu, ein Defizitprofil für jeden einzelnen Schüler erstellen zu können.
Aufgaben aus der Berufswelt
Die Aufgaben sind auf die zukünftige Berufswelt der Schüler zugeschnitten. Eine Testaufgabe im Bereich Schreiben ist beispielsweise ein handschriftliches Bewerbungsschreiben, die zweite ist eine am Computer unter Anwendung des Textverarbeitungsprogramms Office Word 2003 erstellte Gegenstandsbeschreibung des eigenen Handys. Der Vorteil liegt auf der Hand: Nur wenn die Schüler in den sprachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Arbeitswelt ausgebildet werden, kann gewährleistet werden, dass sie sich im Bewerbungs- und Ausbildungsverfahren auch souverän bewegen und damit Chancen auf einen Ausbildungsplatz bekommen.
Autorin: Petra Schraml
Redaktionskontakt: schraml@digitale-zeiten.de