Bericht

Emil bleibt

01.08.2006

Die Jury von ZEIT und Radio Bremen stellt vor: Mario Giordano „Emil Nolde für Kinder“





"Grünes Paar" von Emil Nolde

http://www.artfacts.net

„Das Füttern ist eine sehr langweilige Arbeit“, schreibt Emil Nolde mit 16 Jahren auf einen Balken im Kuhstall, das war 1883. Damals heißt er noch Emil Hansen und wohnt in dem dänischen Dorf Nolde. Sein Vater stellt sich vor, dass der Sohn einmal Bauer werden würde, wie er, oder Schlachter oder Tischler. Doch Emil malt lieber.

Vater und Sohn einigen sich auf einen Kompromiss: Mit 17 Jahren darf der Bub die Schnitzschule in Flensburg besuchen. Damit beginnt das Märchen: ein Bilderbuch für Kinder, geschrieben vom 43-jährigen Mario Giordano, Roman- und Drehbuchautor mit einem Faible für Kinderliteratur. 2001 erschien sein Der Mann mit der Zwitschermaschine über Paul Klee und 2000 Pablos Geschichten über Picasso unter der Ägide von Ute Blaich.

Emil wirkt auf andere Menschen sonderlich. Er fügt sich nicht ein, eckt an, ist unbequem. Schnitzen war nicht, was er wollte, also lernt er nebenbei Zeichnen und lässt sich als Gewerbelehrer nach St. Gallen engagieren. Er illustriert Postkarten und verdient mit ihnen ein kleines Vermögen. Endlich kann er in München eine Malerschule besuchen. Aber die Lehrer mögen ihn nicht. Er wandert weiter nach Paris, geht nach Kopenhagen, er versucht es in Berlin, doch erst auf der dänischen Insel Alsen, wo er für sich und seine Frau Ada eine Hütte mietet, fühlt er sich wohl.

Es ist eine verzwickte Aufgabe, Kindern ohne Faktenhuberei einen Maler vorzustellen, der in die ästhetischen Glaubenskriege verstrickt ist, die Maler zur Zeit von Impressionismus und Expressionismus, Kubismus, Fauvismus und Entarteter Kunst ausgetragen haben. Den Abriss eines Lebens zu schildern, das vor der Gründung des Deutsches Reiches 1871 beginnt und elf Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg 1956 endet. Mario Giordano tut das konsequent kindgerecht, indem er auf jedes kunsthistorische Stützkorsett verzichtet, Geschichte Geschichte sein lässt und Emil Nolde in eine Welt schickt, in der deutsche Kaiser und Republikaner, Himmler und Goebbels nur Randfiguren sind, eine Welt, in der es vor allem aufs Durchhalten ankommt.

Emil malt und malt und schickt seine Bilder an berühmte Galerien. Er erfindet Fabelwesen, Berge mit Gesichtern, Meeresgischt in Form eines Frauenleibes, Nachtwolken wie seltsame Flugwesen. Er streicht die Farbe dick und grob auf die Bilder, macht Gesichter grün, Glieder lila und starr wie die von Holzklötzen oder biegsam wie Fahrradschläuche. Den Galeristen gefällt das nicht, die Bilder kommen zurück.

Deutschland verwandelt sich in eine Diktatur, und Freunde verlassen das Land. Doch „Emil bleibt“, schreibt Mario Giordano. Die Nationalsozialisten setzen ihn auf die Liste der entarteten Künstler. Er darf nicht mehr malen: „Emil bleibt“. Sein Berliner Atelier brennt nach einem Bombenangriff vollständig aus: „Emil bleibt“. Nichts bringt ihn von seinem Lebenskurs ab, bis er sein Glück gemacht hat. Mit 78 Jahren, nach dem Krieg, wird er weltberühmt.

Mario Giordano findet in Emil den Entdeckertyp, der in jedem Kind steckt. Er malt mit Rote-Bete- und Holundersaft und versucht Gesangsstimmen Farben zuzuordnen: Dunkellila, Rostrot, Feuerrot, Graublau. In Holzschnitten und Aquarellen lässt er die „Natur mit arbeiten“, indem er Knäste, Astlöcher und Wasserschlieren in Formen verwandelt. Kurze informative Sondertexte erklären die wichtigsten Druck- und Maltechniken. Und auf fast jeder Doppelseite steht als Mut-mach-Spruch ein Emil-Nolde-Zitat: „Alles, was zugleich von allen mit Jubel empfangen wird, ist sicherlich nicht gut.“ Und: „Das leichte Arbeiten „aus dem Ärmel schütteln“ habe ich nie gekonnt.“



"Grünes Paar" von Emil Nolde

http://www.artfacts.net

Ein Schlüsselbild ist das Selbstporträt gleich am Anfang des Buches. Es zeigt einen hageren Mann mit hellem Strohhut, rotem Schnauzbart und zwei tassengroßen meerblauen Augen, die er wie Fernrohre auf die Welt richtet. Mit ihnen sieht er Tänzerinnen auf Berliner Maskenbällen, Zigeuner in Spanien, Tataren und Kirgisen in Sibirien. Er porträtiert Menschen in Neuguinea, Tiere im Berliner Zoo und Pflanzen in seinem Garten auf Seebüll. Dort hat er die Wege zwischen den Blumenbeeten so angelegt, dass sie ein A für seine Frau Ada und ein E für Emil bilden. Doch das erkennt nur der Besucher, der es vorher gelesen hat.

Luchs 232 wurde ausgewählt von Gabi Bauer, Marion Gerhard, Hilde Elisabeth Menzel, Andreas Steinhöfel und Konrad Heidkamp.

Mario Giordano: Emil Nolde für Kinder
DuMont Verlag, 2006; 63 S., 16,90 € (ab 8 Jahren)

Von Zeit-Redakteurin Elke von Radziewsky

Redaktionskontakt: redaktion@lesen-in-deutschland.de