interview

Bundesverdienstmedaille für eine Bücherpiratin

24.06.2015

Bundespräsident würdigte hervorragende Leistungen für das Gemeinwesen




Bücherpiratin Freya Schwachenwald
Bücherpiratin Freya Schwachenwald
© Bücherpiraten e.V.
Am 5. Juni 2015 zeichnete Bundespräsident Joachim Gauck im Schloss Bellevue in Berlin 25 junge Menschen aus ganz Deutschland für ihr gemeinnütziges Wirken mit der Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland aus. Zu den Geehrten gehört die 21-jährige Studentin Freya Schwachenwald, die seit 12 Jahren den Lübecker Verein Bücherpiraten e.V. engagiert mitgestaltet. Sie hat zum Beispiel das Online-Literatur-Magazin www.die-blaue-seite.de mitgegründet, Kindergruppen wie die Schmökerbande oder die Autoren-Entdecker geleitet und Benefiz-Lesungen organisiert. Auch während ihres Studiums in Frankreich ist Freya Schwachenwald mit Rat, Tat und Wort weiter an Bord der Bücherpiraten-Crew. „Lesen in Deutschland“ (LiD) gratulierte Freya Schwachenwald zu der hohen Auszeichnung und fragte sie, wie es dazu kam, dass sie Bücherpiratin wurde und warum sie sich mit so viel Begeisterung für den Verein einsetzt.

Lesen in Deutschland (LiD): Liebe Freya Schwachenwald, Sie engagieren sich für die Förderung des Lesens. Welche Bedeutung hat das Lesen für Sie persönlich?

Freya Schwachenwald: Lesen bedeutet für mich das Abtauchen in eine andere Welt. Zwischen ein paar Seiten Papier kann im Kopf so viel geschehen. Jedes Buch hat sein eigenes kleines Universum, das man mit dem Öffnen und Schließen des Buches betritt und wieder verlässt. Aber besonders spannend wird es eigentlich dann, wenn man die Geschichten und die Gedanken, die beim Lesen entstehen, aus dem Buch herausnimmt, über sie spricht, seine Erfahrungen mit anderen teilt. So ist Lesen für mich auch immer ein Austausch mit anderen, eine Begegnung zwischen Menschen und Geschichten.
   
LiD: Erinnern Sie sich noch daran, bei welcher Gelegenheit Sie die Lübecker Bücherpiraten kennengelernt haben und was Ihnen an dem Verein besonders gefallen hat?

Freya Schwachenwald: Meine Mutter hat mich zum ersten Bücherpiratenfestival mitgenommen, da war ich gerade neun Jahre alt. Ich habe mir dort die Lesung von einem Kinderbuchautor angehört. Worum es ging, weiß ich nicht mehr genau, ich glaube, es war ein großer Hut im Spiel. Aber dort habe ich Gleichaltrige getroffen, die genauso gerne lasen und schrieben wie ich. Das hat mich dann nicht mehr losgelassen.

LiD: An welche Veranstaltung oder Aktion der Bücherpiraten, an der Sie mitgewirkt haben, erinnern Sie sich besonders gern?

Freya Schwachenwald: Es gibt viele schöne Erinnerungen, aber ein ganz besonderer Moment war, als der letzte nötige Büchergutschein für die Kinder der Lübecker Tafel gespendet wurde. Wir hatten uns monatelang auf die Aktion vorbereitet. Das Ziel war, den Kindern, die von der Lübecker Tafel versorgt werden, zu Weihnachten einen Büchergutschein überreichen zu können. Über siebenhundert Gutscheine waren dazu nötig. Am Anfang waren wir uns nicht sicher, ob das überhaupt ein realistisches Ziel war. Wir haben Pressemitteilungen geschrieben, eine Benefiz-Lesung organisiert und viele großzügige Spenden erhalten. Doch ob wir es wirklich schaffen würden, war bis zum Ende nicht klar. Am letzten Tag der Spendenaktion kamen dann noch genau die Büchergutscheine, die uns vorher gefehlt haben. Das war ein toller Moment.

LiD: Gelingt es den Bücherpiraten, Kinder und Jugendliche, die von sich aus nicht so gerne lesen, für Bücher und Literatur zu begeistern?

Freya Schwachenwald: Wenn dann ein Kind in unser Haus kommt, mit seinem Büchergutschein in der Hand und in Begleitung seiner Eltern, um sich sein ganz eigenes Buch im Benefizladen auszusuchen, ist das dann hoffentlich der Moment, in dem die Begeisterung überspringt.

LiD: Können Sie von einem Erlebnis berichten, bei dem Sie gespürt haben, dass Sie Gleichaltrige mit Ihrer eigenen Begeisterung für das Lesen „angesteckt“ haben?

Freya Schwachenwald: Vor den 5. Lübecker Jugendbuchtagen 2011 stellte sich relativ kurzfristig heraus – etwa zweieinhalb Monate vorher, dass die geplante Eröffnungslesung ausfallen würde. Ein Plan B musste her. Es war bereits zu spät, um bei Autoren oder Hörbuchsprechern anzufragen und so wuchs aus der Not heraus die Idee, dass wir die Lesung einfach selbst in die Hand nehmen könnten. Ich hatte kurz vorher ein Buch gelesen, das mich sehr bewegt hatte: „Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie“ von Lauren Oliver. Kurzerhand stellte ich aus dem Text eine Lesung zusammen und suchte mir Gleichaltrige, die Lust hatten, den Text auf der Bühne zu präsentieren. Es begann eine sehr intensive Probenphase und bald hatten wir alle das Gefühl, den Text zu leben, zu atmen, immer mehr in unseren Personen aufzugehen und sie Wirklichkeit werden zu lassen. Der Abend der Eröffnung war dann auch ein voller Erfolg, wahrscheinlich vor allem deshalb, weil man unsere Begeisterung für die Geschichte spüren konnte.


LiD: Helfen die Erfahrungen, die Sie bei den Bücherpiraten sammeln können, bei der Bewältigung von Herausforderungen in anderen Lebensbereichen, z.B. beim Studium?

Freya Schwachenwald: Die Bücherpiraten haben mir unglaublich viel gegeben, wofür ich sehr dankbar bin. Das klingt vielleicht alles ein bisschen abgedroschen, aber ich bin davon überzeugt, dass ich ein anderer Mensch wäre, wenn ich nicht all die Jahre hier verbracht hätte. Eine der wahrscheinlich wichtigsten Erfahrungen, die ich gemacht habe, ist die, dass alle Ideen gleich wichtig sind. Dass gemeinsam auch der verrückteste Einfall umgesetzt werden kann, und vor allem, dass das nicht einmal schwer sein muss. Wir könnten viel mehr Fantasie Wirklichkeit werden lassen, wenn wir es nur versuchen würden.

LiD: Was raten Sie jungen Leuten, die sich ebenfalls für die Leseförderung einsetzen möchten?

Freya Schwachenwald: Da kann ich mich eigentlich direkt meiner vorherigen Antwort anschließen: Habt den Mut, eure Ideen umzusetzen!

Das Interview führte Christine Schuster.

Über die Bücherpiraten
Der Bücherpiraten e.V. wurde 2002 mit dem Ziel gegründet, Kinder und Jugendliche für Geschichten zu begeistern und dafür zu sorgen, dass Literatur zum festen Bestandteil ihres Alltags wird. Junge Leserinnen und Leser können bei den Bücherpiraten gemeinsam Bücher lesen, Texte auf der Bühne vortragen, Geschichten schreiben oder mit anderen zusammen Autoren entdecken. Der Verein bietet regelmäßig Kurse für kreatives Lesen und Schreiben an, organisiert die Lübecker Jugendbuchtage und lädt alljährlich zum großen Bücherpiraten-Festival ein.

Kontakt:
Martin Gries
Bücherpiraten e. V.
Fleischhauerstr. 71
23552 Lübeck
Tel.: (0451) 70 73 810
E-Mail: m.gries@buecherpiraten.de
Internet: www.buecherpiraten.de
Redaktionskontakt: schuster@dipf.de