
Vorleseangebote mehrsprachig gestalten |
31.07.2014 |
Eine Arbeitshilfe für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren
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Titelseite der Broschüre © Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V. |
Wir veröffentlichen nachfolgend mit freundlicher Genehmigung das Kapitel „Vorlesen“ (S. 31-36). Die gesamte Broschüre steht im pdf-Format zum kostenlosen Download zur Verfügung unter: www.verband-binationaler.de
Vorlesen
Einzelne Vorleseeinheiten lassen sich sehr vielfältig gestalten, je nachdem wie sich die Kindergruppe zusammensetzt, welches Buch ausgewählt und mit welchen Methoden gearbeitet wird. Bitte bei aller Vorbereitung nicht vergessen, dass Vorlesen Spaß machen sollte!
Rahmengestaltung
Vorlesen, Geschichten erzählen und Gespräche führen gelingt nur dort, wo man sich konzentrieren kann, sich wohl und aufgehoben fühlt. Eine ruhige Sitz- und Leseecke unterstützt das sich Einlassen auf Bücher. Vorlesen ist etwas Besonderes, es sollte sich herausheben aus dem Kinderalltag. Ein regelmäßiges Angebot unterstreicht die Wichtigkeit des Vorlesens, ein festes Ritual – z. B. eine Handpuppe, die in die Leseecke einlädt – unterstützt seine Bedeutung. Mit einem gemeinsamen Spruch oder einem kurzen Lied in den Familiensprachen der Kinder zu Beginn kann die Kindergruppe sich sammeln und zusammenfinden. Dies gibt ihr das Startsignal für die gemeinsame Lesereise. Zum Abschluss der Vorleseeinheit kann ein Abschiedsritual hilfreich sein.
Je nach Alter der Kinder und Bekanntheitsgrad des Buches sollte das Vorlesen an sich nicht mehr als 20 bis 30 Minuten betragen. Umfangreiche Bilderbuchgeschichten sollten besser in einzelne Folgegeschichten aufgeteilt werden. Die Vorleser/-innen des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften lesen meist einsprachig in den Familiensprachen bei den festen Kindergruppen. Die Kinder bekommen dadurch Gelegenheit tiefer in eine Sprache
einzutauchen.
Öffentliche Lesungen werden in der Regel zweisprachig gestaltet mit einem Co-Vorleser/einer Co-Vorleserin. Das Vorlesen erfolgt entweder im direkten Sprachwechsel oder man lässt einzelne Figuren in der anderen Sprache sprechen und gibt so der Geschichte einen eigenen mehrsprachigen Kontext. Mehrsprachiges Vorlesen lädt dazu ein, über die unterschiedlichen Sprachen zu reflektieren, einzelne Worte und Sätze in den Sprachen miteinander zu vergleichen: Was klingt ähnlich, was klingt ganz anders oder wie unterscheiden sich Zeichen und Schrift? Es können auch nur einzelne Elemente der anderen Sprache einfließen, wie z.B. Tiernamen aus der Geschichte in den unterschiedlichen Sprachen zu erfragen und zu benennen.
Auch wenn ein Kind die Vorlese-Sprache nicht versteht, kann das Zuhören spannend sein. Vielleicht versteht es die Handlung allein aufgrund der Bilder, achtet mehr auf Betonung, Sprachmelodie, Mimik oder Gestik und lässt seine Fantasie schweifen. Oder das Kind holt sich Informationen von den anderen Kindern in der gemeinsamen Kommunikationssprache. Sich in einer Situation zurechtzufinden, obwohl man etwas nicht versteht, ist eine wichtige Erfahrung für das Selbstvertrauen des Kindes.
TIPPS:
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Bilderbuchbetrachtung und dialogisches Vorlesen
Die Bilderbuchbetrachtung und das dialogisches Vorlesen eignen sich besonders für kleinere Gruppen und jüngere Kinder. Dabei verzahnen sich der schriftliche Text mit der mündlichen Sprache. Das Tempo lässt sich gut variieren. Das Kind kann sich auf das Zuhören und Verstehen konzentrieren oder selbst sprachlich aktiv werden und sich ausprobieren. Die Bilderbuchbetrachtung erleichtert es Kindern, nachzufragen und eigene Erfahrungen einfließen zu lassen. Es erfordert aber von den Vorleserinnen und Vorlesern ein intensives sich Einlassen auf die Kinder und einen sicheren Umgang mit deren mehrsprachigen Fähigkeiten.
Bei einer Bilderbuchbetrachtung sitzen alle eng zusammen, es entsteht eine emotionale Nähe zwischen Kindern, Vorleser/-in und Geschichte. Die Inhalte und Themen der Geschichten unterstützen eine solche Situation oft. Das Bilderbuch wird zum Schauplatz von Freude und Spaß, Wut und Trauer, eigener Identifikation mit den Helden und Figuren der Geschichte.
Für öffentliche Lesungen oder Lesungen vor größeren Gruppen bietet sich die Projektion der Bilder in Form eines „Bilderbuchkinos“ an. Entsprechende Dateien gibt es bei Verlagen, Autorinnen und Autoren oder in Bibliotheken.
Varianten der Bilderbuchbetrachtung
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TIPPS:
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Klassisches Vorlesen
Im Unterschied zur Bilderbuchbetrachtung sollen sich die Kinder hier ganz auf das Gehörte einlassen und nicht von Bildern ablenken lassen. In den Köpfen der Kinder wird ein „Vorstellungsraum“ geschaffen und ihre Fantasie angeregt. Es geht auch um den „Unterhaltungswert“ der gehörten Geschichte: Sie erzeugt Spannung und Dramatik und nimmt die Kinder emotional mit auf die Lesereise.
Diese Art des Vorlesens gelingt auch mit einer größeren Gruppe gut. Empfehlenswert ist ein Sitzkreis, so dass die Vorleser/-innen immer Blickkontakt mit den Kindern aufnehmen können.
TIPPS:
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Geschichten erzählen
Die wohl bekannteste Form des Erzählens ist das Märchenerzählen, sie kommt dem klassischen Vorlesen am nächsten. Märchen sind ein gutes Beispiel dafür, wie
eine Geschichte funktioniert. Sie haben eine Einleitung, die den Ort, die Zeit, die Akteure und das Handlungsfeld einführt. Das Fortschreiten der Handlung folgt einem Spannungsbogen, immer wieder sind Herausforderungen zu bewältigen. Der Schluss liefert dann eine Auflösung und ein emotional entlastendes Ende.
Märchen sind in einen historischen oder Fantasiekontext eingebunden, der sich deutlich vom Kinderalltag unterscheidet. Sie benutzen ritualisierte Einstiegs- und Schlussformeln, die auch kultur- und sprachenübergreifend nutzbar sind, z.B. „Es war einmal vor langer Zeit ...“ oder „und wenn sie nicht gestorben sind, ...“. Beim Erzählen hält man zwar kein Buch in den Händen, stützt sich aber auf ein fiktives Geschichtenbuch, das in der Erinnerung sehr wohl existiert.
Auch wenn Kinder die Erzähl-Sprache nicht so gut beherrschen, können sie die Regelhaftigkeit erkennen, denen eine Geschichte folgt. Daraus können sie vieles ableiten und die emotionale Situation des Erzählens genießen.
Eine hohe Erzählkunst ist es, zweisprachig in zwei Rollen zu erzählen und der gesamten Geschichte einen mehrsprachigen Kontext zu geben. Dies erfordert viel Übung und erzählerisches Talent.
Einige Vorleser/-innen haben eine besondere Vorliebe und ein besonderes Talent für diese Form der Weitergabe von Geschichten. Sie eignet sich auch für mündliche Überlieferungen und für gesprochene Sprachen.
TIPPS:
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Autorinnen:
Michaela Schmitt-Reiners, Maria Ringler, Januar 2014
Herausgeber:
Verband binationaler Familien und Partnerschaften iaf e.V.
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